30.11.2023

„Backstage“ unserer Eichhörnchenpflegestelle/Aktion Eichhörnchen e.V.

Wie schon seit langem versprochen, wollten wir über die Hintergrundarbeit unserer Eichhörnchenpflegestelle berichten. Wir bekommen immer wieder Anfragen von Eichhörnchenbegeisterten, die gerne eine Pflegestelle anbieten möchten, aber unsicher sind, was alles „dahintersteht“. Das möchten wir jetzt mal anhand „unserer“ Pflegestelle/Verein auflisten, wohlwissend, dass andere Pflegestellen – egal ob größer oder kleiner – eine andere Vorgehensweise bevorzugen, es ist nur ein Beispiel und vor allem kein Muss! Jeder, der so etwas anbietet, kann es nur unter den gegebenen räumlichen & zeitlichen Voraussetzungen tun. Das Wohl der Tiere sollte dabei aber immer im Vordergrund stehen, immer!

Zeitfaktor:

Um eine Eichhörnchenstation zu betreiben, benötigt man Zeit, d.h. während der Hauptsaison von Februar bis Oktober muss man fast seine gesamte Freizeit den Eichhörnchen zur Verfügung stellen. So schön wie es ist, sich vorzustellen, kleine Eichhörnchen zu füttern, so ist dies doch der geringste Zeitanteil an einer Station und trotzdem muss er teilweise auch Nachts erfolgen! Nackte Eichhörnchen müssen alle 2-3 Stunden gefüttert werden, ansonsten haben sie keine Chance. Die letzten 2 Jahre haben allerdings auch gezeigt, dass unsere „befellten“ Eichhörnchen immer kränker in die Stationen kommen, d.h. entweder sind sie völlig ausgehungert und müssen ganz behutsam wieder gepäppelt werden oder sie haben Endo-/Exoparasiten, die man erst mal wieder loswerden muss. Ein krankes Eichhörnchen erfordert natürlich mehr Zeitaufwand als ein Gesundes, das einfach nur „wachsen“ muss. Bilder dazu wollen wir nicht zeigen.
Auch sollte die Pflege eines Eichhörnchens dokumentiert werden. Tägliches Wiegen, Medikamentengabe, Tierarztbesuche und sonstige Besonderheiten (z.B. will keine Milch sondern nur Brei) sollten notiert werden, um mögliche Unverträglichkeiten oder Veränderungen so schnell wie möglich zu erkennen.

Nicht zu vernachlässigen sind die Tierarztbesuche. Wir haben oft „Notfälle“, d.h. wir sind darauf angewiesen, dass wir bei unseren wildtiererfahrenen Tierärzten „dazwischenrutschen“ können, nicht einfach und auch häufig mit bangem und langem Warten verbunden. Hier mal ein Dank an unsere beiden TA-Praxen, die uns immer wieder kurzfristig aufnehmen!

Im Spätjahr ist das eigene, kostengünstige Sammeln von Nüssen, Samen und Maronen ein ordentlicher Zeitfresser, einschließlich Rückenschmerzen, allerdings kann so auch eine Menge Geld für Futter gespart werden. Das Gesammelte muss ordentlich getrocknet (Platzbedarf!) und dann eingelagert werden. Das bereits Eingelagerte muss immer mal wieder kontrolliert werden, damit sich kein Schimmel bildet und die Nüsse damit unbrauchbar werden. Auch das Abholen/Einsammeln von Futterspenden frisst Zeit, aber, wir tun es sehr, sehr gerne. Hier wird uns ganz viel Arbeitszeit abgenommen und deshalb ein ganz großes Dankeschön an die Nussspender*innen.

Auch unsere Vereinstätigkeit raubt natürlich Lebenszeit: die Rechnungen/Spenden müssen verbucht, Spendenquittungen verschickt werden, es werden Newsletter für die Vereinsmitglieder geschrieben, eine Jahreshauptversammlung muss organisiert werden und das Finanzamt möchte auch einen ordentlichen Rechenschaftsbericht haben. Dabei müssen auch die Vereinsseiten und die Internetseiten möglichst aktuell bleiben. Alles nebenbei.

Logistik: ein großer Zeitfresser besteht in der Logistik:
==> Ersatz-/Beschaffung der Ausstattung und das ist dann nicht nur das Eichhörnchenfutter, sondern auch Transportboxen, Medikamente, Milch, Desinfektionmittel, Spritzen, Sauger, Kuschelsäcke, Einwegutensilien usw.
==> Laufende Desinfektion der oben angeschafften Materialien einschließlich des Auswilderungsgeheges

Hier mal ein paar Bilder von unserem Keller, voll mit Eichhörnchenutensilien, für den privaten „Kram“ bleibt nicht mehr viel Platz:


Räumlichkeiten: und wie man hier schon erkennen kann, man braucht nicht nur Platz für die Lagerung, sondern auch Platz die Eichhörnchen „unterzubringen“, sei es in Indoorgehegen, Softboxen oder in „Hörnchenzimmern“. Dazu kommt, dass Eichhörnchen mit ansteckenden Krankheiten natürlich nicht in einem gemeinsamen Käfig gehalten werden dürfen, die Eichhörnchen auch „altersgemäß“ untergebracht werden und Gelegenheit zum Toben, Klettern und Spielen haben müssen, damit sie eine Chance haben, wieder fit in die Freiheit ausgewildert zu werden.

Dazu gehört letztendlich auch ein Auswilderungsgehege in einer Umgebung, in der Eichhörnchen genügend Futter, Wasser und einen Unterschlupf finden. Für uns ist das aktuell unser Auswilderungsgehege im Wildwald Vosswinkel.



Finderkontakt: hat man dann die ersten Eichhörnchen bekommen, gehört es für uns „zum guten Ton“ auch Kontakt zu den Findern zu halten. Sie möchten wissen, wie es ihrem Schützling geht und möchten an seiner Entwicklung teilhaben. Auch das kostet Zeit: Bilder und Videos machen und zu berichten. Wir versuchen das über unseren Blog, die ersten Tage sind wir mit den Findern meist noch über WhatsApp oder Signal in Kontakt. Auch das kostet Zeit, aber es ist ein gutes Gefühl, wenn die Finder „mitfiebern“ und später mal die „gewachsenen“ Eichhörnchen besuchen können und völlig erstaunt sind über deren Entwicklung.

Nicht alle Finderkontakte sind positiv. Der ein oder andere Finder ruft uns an:

„Wenn Sie das Eichhörnchen nicht abholen, dann lasse ich das liegen, Sie sind dazu verpflichtet!“

Nein, sind wir nicht, wir sind alle ehrenamtlich unterwegs. Klar, wir sind auf die Finder angewiesen um Eichhörnchen zu retten, aber in der Hochsaison kommen wir mit den viel zu wenig Pflegestellen sowohl an unsere finanzielle als auch unsere zeitlichen/persönlichen Grenzen. Und das „Auszuhalten“, mal „Nein“ zu sagen, das will gelernt sein. Fast nicht möglich, denn da kommt die psychologische Komponente noch dazu: „Was passiert mit dem armen Eichhörnchen, wenn ich es nicht nehme? Kann eine andere Pflegestelle übernehmen?“. Wir versuchen das Eichhörnchen trotzdem aufzunehmen, es zu versorgen und dann so schnell wie möglich selbst in eine andere Pflegestelle zu vermitteln.

In erster Linie versuchen wir aber immer die unverletzten, fitten Jungtiere wieder an ihren ursprünglichen Fundort zurückzubringen, sog. „Rückführungen“, auch die kosten Zeit: „Kommt Mama-Eichhorn und holt ihr Kind ab, oder muss es dauerhaft bei uns großgezogen werden?“ Ohne eigenes Auto fast nicht zu machen.

Informationen: Wenn man – so wie unser Verein – auch in Kindergärten, Schulen und Jugendeinrichtungen unterwegs ist, müssen Konzepte, Bastelideen, Präsentationen und Spiele erstellt werden. Aber gerade diese Tätigkeiten sind so wichtig, denn wir müssen unsere Wildtiere schätzen lernen, sie alle haben einen „Auftrag“, den sie erfüllen sollen. Bei Eichhörnchen ist es u.a. „Bäume pflanzen“. Und das müssen wir vor allem unserem eigenen Nachwuchs wieder nahebringen.
Das Erstellen von Flyern, Kalendern, die permanente Überarbeitung und die Suche nach einem Druckdienstleister knabbern von der eigenen Lebens-/Freizeit.

Unsere jährlichen Kalender


Aus-/Fort- und Weiterbildung: auch das ist ein Zeitfaktor, immer aktuell zu bleiben, Fortbildungen zu lauschen, sich mit Pflegestellen beraten, Kurse und Seminare buchen. Meist geschieht dies in der „eichhörnchenfreien Zeit“, aber auch da spielt die „Zeit“ eine große Rolle. Die Seminare sind natürlich auch nicht kostenlos und nicht alles, was man lernt, ist sofort „anwendbar“, da ist Übung erforderlich.

Seminare zu Eichhörnchen finden sich z.B. hier, die Liste ist nicht abschließend:

https://www.ighw.org/online-schulungszentrum/

https://eichhoernchen-infos.de/seminare/

https://www.retscheider-hof.de/der-verein-2/veranstaltungen/


Finanzen:

Man braucht auch finanziellen Spielraum. Auch wenn man einen Verein mit Spenden betreibt (so wie Aktion Eichhörnchen e.V.), wickelt man nicht alles über das Vereinskonto ab: da sieht man mal hier ein paar Walnüsse im Angebot, da einen Kuschelsack, hier eine Transportbox, das bleibt dann finanziell in der „Familie“ hängen, nicht im Verein. Außerdem muss bis zum ersten Start auch die gesamte Ausrüstung beschafft werden: Eichhörnchenmilch, Sauger, Spritzen, Transportboxen, Tücher, Einwegartikel, Kuscheltiere für die Eichies, Grundausstattung an Medikamenten, Innen- und Außenvoliere, Auswilderungsvoliere, Laufräder, Kobel usw. … Man tritt also quasi in Vorleistung, bevor man überhaupt anfangen kann! Auf die steigenden Tierarztkosten wollen wir hier gar nicht eingehen, aber wir sind ja schon froh, dass wir wildtierfähige TAs gefunden haben, die uns „dazwischenschieben“!
Natürlich bekommt man auch Spenden von den Findern, aber die decken meistens nicht den Bedarf für die Aufzucht. Einen Zuschuss von staatlichen Stellen gibt es derzeit noch nicht.


„tierische Resilienz“:

Wir wissen, dass der Begriff nicht passend ist, aber er spiegelt vieles wieder, was auch im Umgang mit Fund-/Tieren notwendig ist:

Akzeptanz: Wenn ein verletztes Eichhörnchen aufgenommen wird, das sich bereits in der letzten Lebensphase befindet und kaum noch Lebenszeichen zeigt, müssen wir akzeptieren, dass wir nichts mehr für das Tier tun können, außer es weich zu betten, ihm Ruhe und Wärme zu geben, damit es sicher vor Fressfeinden über die Regenbogenbrücke gehen kann. Das „Auszuhalten“ ist nicht einfach, tut weh.

Bindung: eine Bindung zu Eichhörnchen, und generell Wildtieren, ist natürlich kaum möglich. Eine direkte Kommunikation auch nicht. Also muss man so gut wie möglich versuchen, das Tier mit seinen Verletzungen, seinen Eigenheiten und seinen Bedürfnissen „zu lesen“ und ihm dann das gewünschte auch zur Verfügung stellen. Manche Eichhörnchen möchten mit dem Menschen kuscheln, andere lehnen es strikt ab. Das zu erkennen ist für die Heilung und das Aufwachsen des Tiers sehr wichtig.
Ebenso wichtig ist es natürlich zu erkennen, wann ein verletztes, geschwächtes Eichhörnchen durch den Kontakt zu Artgenossen gefördert oder eher gestresst wird. Die Bindung zum Menschen soll so gering wie möglich bleiben, manchmal verhindern aber vorhandene Krankheiten den Kontakt zu anderen Artgenossen. Es ist immer eine Gratwanderung.

Lösungsorientierung: unser erstes Ziel muss immer die „Herstellung der Wildbahnfähigkeit“ des Eichhörnchens sein, das ist auch der gesetzliche Auftrag. Nur Eichhörnchen, die verletzt sind und eine Aussicht auf Genesung haben, dürfen in menschlicher Obhut gehalten werden. Dabei müssen zuerst die lebensbedrohlichen Faktoren und dann die lebenseinschränkenden Faktoren behandelt werden. Alles zugleich wird nicht funktionieren und überfordert das Eichhörnchen.

gesunder Optimismus: Gerade im Bezug auf Wildtiere, die -im Gegensatz zu unseren Haustieren – über ein viel besseres Heilfleisch und eine höhere Widerstandskraft verfügen, ist ein vorsichtiger/ gesunder Optimismus wichtig. Nicht jedes verletzes Tier muss aufgegeben werden. Es lohnt sich ein paar Tage gegen die Verletzungen anzukämpfen und von Tag zu Tag neu zu entscheiden, ob das Tier eine Chance wieder zurück in die Natur zu kommen hat. Tiere, deren Chancen gering sind, ein eichhörnchenlebenswertes Leben zu leben, sind lt. Gesetz zu euthanasieren, so schlimm das für die Pflegestelle auch sein mag. Kein Tier soll unnötig leiden. Hier müssen die eigenen Gefühle zum Wohl der Tiere eindeutig zurückstehen. Das ist zum Teil sehr bitter, wir erinnern nur an „Harry“!

Selbstwahrnehmung: ein ganz wichtiger Punkt für die Mitarbeiter*innen in Pflegestellen: wann bin ich überfordert und kann der Pflege der Tiere nicht mehr gerecht werden? Wann leiden Familie und Beruf unter der Eichhörnchenpflege? Für ein paar Tage ist das vielleicht noch o.k., aber nicht über Wochen und Monate.

Selbstreflexion: auch ein sehr wichtiger Punkt, vor allem am Ende einer Eichhörnchensaison. Was ist gut gelaufen, was weniger gut, was kann verbessert werden, wo kann sich die Pflegestation verbessern, welche Erleichterungen können geschaffen werden? Keine Pflegestelle kann sich erlauben auf dem bisherigen Wissen und dem bisherigen Tun stehen zu bleiben. Wissenslücken müssen gefüllt, neue Entwicklungen beobachtet und gelernt werden.

Selbstwirksamkeit: auch wenn in einer Eichhörnchensaison viele Tiere nicht gerettet werden konnten, so muss es nicht an der Qualität der Arbeit der Pflegestation liegen. In einer Saison bekommt man nur gesunde und fitte Tiere, in der nächsten Saison kranke, geschwächte und unterernährte Eichhörnchen. Man sucht sich die Tiere ja nicht aus. Trotzdem müssen wir uns immer bewusst sein:

„Ein Tier zu retten verändert nicht die ganze Welt, aber die ganze Welt verändert sich für dieses eine Tier!“



Wir wollen hier keinen „abschreckenden“ Bericht geben, denn diese puscheligen, liebenswerten Eichhörnchen in ihrer Entwicklung zu erleben, sie zu retten und sie „mit einem lachenden und weinenden Auge“ wieder in die Freiheit zu lassen (auch das muss man „aushalten“), sind Momente im Leben, die man nie vergisst. Man gibt unserer Natur etwas „zurück“. Es ist ein sehr gutes Gefühl. Nichtsdestotrotz wollen wir über die ganzen „Hürden“ und die „arbeitsintensiven und auch traurigen“ Erlebnisse berichten. Es sollte ein objektiver Bericht sein. Ob uns das gelungen ist?

Und abschließend: wer tatsächlich darüber nachdenkt, eine eigene Station zu betreiben, sollte sich auf jeden Fall diese „Eichhörnchenbibel“ beschaffen:

Lurz/Bosch : Das Eichhörnchen – Sciurus vulgaris

und Kontakt mit einer Pflegestelle in der Nähe aufnehmen. Entweder über unsere Seite

Eichhörnchen in Not

oder

Facebook (offene Seite): Eichhörnchenpflegestellen

Gerade in den letzten beiden Jahren hat auch die „Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover“ den „Wildtierdiskurs“ ins Leben gerufen. Den gsprochenen Text finden wir super, tolle Ziele, aber wie erreichen? Die Präsentation selbst ist uns zu „unruhig“ und zu „stilisiert“, nicht für einen Bürger „ansprechend“. Aber das ist Geschmacksache:

Kurzfilm Handlungsempfehlungen

Natürlich stehen wir Euch auch gerne für Fragen über unser Notruftelefon oder unsere Email-Adresse zur Verfügung und wünschen Euch jetzt noch eine ruhige Vorweihnachtszeit!

Steffi & Werner Schmitz
Aktion Eichhörnchen e.V.